Spotlight Juni 2021: Endotoxin – der Grund für falsch-positive Toxizitätsmessung bei Advanced Materials

Home > Spotlight Juni 2021: Endotoxin – der Grund für falsch-positive Toxizitätsmessung bei Advanced Materials

Advanced Materials, aber auch vor allem Nanomaterialien, werden genau untersucht, ob sie biologische Effekte auslösen, die für Mensch und Umwelt schädlich sein können, bevor diese in Produkten eingesetzt werden. Auch solche Materialien, wie z.B. Titandioxid, das seit mehr als 50 Jahren in unterschiedlichsten Produkten Verwendung findet, gehört dazu. Eine sehr wichtige biologische Reaktion auf „Fremdstoffe“ ist bei Mensch und Tier die Entzündungsreaktion, da diese einen Abwehrmechanismus darstellt, in dem der Körper sich mit verschiedenen Reaktionen wehrt: Rötung, Erwärmung (Fieber), Schwellung und Schmerz sind erste Anzeichen und führen möglicherweise zu einer funktionellen Einschränkung des Organs, das betroffen ist. Daher wird diese Reaktion auch besonders häufig in toxikologischen Labors untersucht und nahezu ebenso häufig missinterpretiert.

Was sind aber die Gründe für die häufig falsch-positiven Ergebnisse z.B. bei Goldpartikeln oder den oben erwähnten Titandioxidpartikeln? Seit langem ist bekannt, dass ein bakterieller Zellbestandteil für solche Fehlbestimmungen verantwortlich ist. Denn das sogenannte „Endotoxin“ oder Lipopolysaccharid (LPS) kommt überall in unserer Umwelt vor, auch ohne Bakterien, und bindet sich ganz besonders gern an kleine Partikel, wie eben die Nanopartikel [1, 2]. Dieses Endotoxin löst dann die Abwehrreaktion aus, ohne dass das Material selbst etwas dazu beitragen müsste.

In ihrem aktuellen Übersichtsartikel macht die italienisch/spanische Gruppe darauf aufmerksam, dass vor einer Messung eines entzündungsauslösenden Effektes von Materialien unbedingt das Material darauf untersucht werden muss, ob es bakterielle Kontaminanten (Endotoxin) enthält [Mangini et al., 2021]. Und zusätzlich zeigen sie auf, dass auch die Auswahl des passenden Bestimmungsverfahrens wichtig ist, da die Nanopartikel mit den Testverfahren interagieren können und damit zusätzlich Fehler hervorrufen, die zu falsch-positiver oder auch falsch-negativer Bewertung der Ergebnisse führen können. Da jedoch aus regulatorischer Sicht keine Vorschrift existiert (außer für medizinische Anwendungen), die den Nachweis bzw. das Fehlen von Endotoxinen verlangt, wenn es um die toxikologische Bewertung von Advanced Materials geht, kann man davon ausgehen, dass viele dieser Materialien mit Endotoxin kontaminiert sind und daher die Aussagen zu ihrer Entzündungsauslösung falsch sein können. Die Autoren stellen daher einen Entscheidungsbaum vor, der vor jeder Testung von Nanomaterialien oder Advanced Materials angewendet werden sollte, um genau diese Fehler zu vermeiden. Zum einen muss die Frage beantwortet werden, ob Endotoxin in den Proben enthalten ist. Zum anderen muss aber auch berücksichtigt werden, ob der passende Test gewählt wurde, der für das jeweilige Material auch eingesetzt werden darf.

Auch das Projekt DaNa bewertet die Literatur zur Toxizität unter anderem nach diesem Kriterium und hat im Katalog der Evaluationspunkte den Nachweis von Endotoxin mit aufgenommen (siehe dazu https://nanopartikel.info/wissen/literaturkriterienkatalog/).

 

Original Publikation:

Mangini, M et al. (2021). Interaction of nanoparticles with endotoxin Importance in nanosafety testing and exploitation for endotoxin binding. Nanotoxicology, 15(4): 558-576.

 

Weitere zitierte Literatur

  1. Bianchi, MG et al. (2017). Lipopolysaccharide Adsorbed to the Bio-Corona of TiO2 Nanoparticles Powerfully Activates Selected Pro-inflammatory Transduction Pathways. Front Immunol, 8 866.
  2. Li, Y et al. (2017). Bacterial endotoxin (lipopolysaccharide) binds to the surface of gold nanoparticles, interferes with biocorona formation and induces human monocyte inflammatory activation. Nanotoxicology, 11(9-10): 1157-1175.
Spotlight Juni 2021: Endotoxin – der Grund für falsch-positive Toxizitätsmessung bei Advanced Materials

Weitere Spotlights


Spotlight Juli 2022: Neue Definition zu Nanomaterialien veröffentlicht

Spotlight Juli 2022: Neue Definition zu Nanomaterialien veröffentlicht

Die Europäische Union hat zum Juni 2022 eine neue Definition für Nanomaterialien veröffentlicht. Diese soll künftig als Grundlage für Rechtsvorschriften verwendet werden. Zu finden sind die neuen Dokumente auf den Webseiten der EC. In der neuen „Nanodefinition“ bleiben die wesentlichen Komponenten wie die Herkunft oder der Größenbereich der Teilchen (1-100 nm) weitgehend unverändert, es werden […]

Weiterlesen

Spotlight November 2022: Wie Photonik aus der Natur bioinspirierte Designs hervorbringt

Spotlight November 2022: Wie Photonik aus der Natur bioinspirierte Designs hervorbringt

Die Wissenschaft hat sich schon immer die Natur als Vorbild genommen und sie imitiert. Schaut man sich den Bereich der Photonik an, also die Verwendung von optischen Technologien zur Informationsverarbeitung, Übertragung oder Speicherung, so sind die farbenfrohen Beispiele in der Tier- und Pflanzenwelt perfekte Grundladen für technische Anwendungen. Während Farben in der Natur entweder zur […]

Weiterlesen

Spotlight Mai 2023: Zweifach Energie – essbare Batterien

Spotlight Mai 2023: Zweifach Energie – essbare Batterien

Ein italienischer Forscherverbund berichtet über essbare Batterien, die elektrischen Strom liefern und als Nahrungsmittel verdaut werden und damit ein zweites Mal Energie liefern könnten. Was zunächst lustig klingt, hat einen ernsten Hintergrund, denn in der Medizin werden Stromquellen benötigt, die über den Verdauungstrakt transportiert werden und ggf. auch unbeabsichtigt im Körper verbleiben könnten, z.B. für […]

Weiterlesen

Spotlight Februar 2022: Probabilistische Risikoanalyse – der Schlüssel für die Zukunft der Toxikologie

Spotlight Februar 2022: Probabilistische Risikoanalyse – der Schlüssel für die Zukunft der Toxikologie

Die Grundlagen der Toxikologie werden immer wieder überdacht, das Vorgehen bei einer Risikobeurteilung daher ständig auf den Prüfstand gestellt, denn, so wird William Osler in dieser Publikation zitiert, “Medizin (Toxikologie) ist die Wissenschaft der Unsicherheit und die Kunst der Wahrscheinlichkeit“. In dieser aktuellen Arbeit hat das Team um Thomas Hartung (Johns-Hopkins University/Universität Konstanz) dargestellt, dass […]

Weiterlesen

Skip to content