Reifenabriebpartikel – ein unterschätztes Problem für Mensch und Umwelt?

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Verkehr verursacht die Freisetzung von Reifen- und Straßenabriebpartikeln. Diese Partikel stellen eine Gefährdung für Mensch und Umwelt dar. Ihre Freisetzung und Verteilungsmuster variieren je nach Fahrverhalten, Reifentyp und Straßenbedingungen erheblich.

Fahrzeug mit Bremsspuren auf Fahrbahn. Bildquelle: toa555_stock.adobe.com

Fahrzeug mit Bremsspuren auf Fahrbahn ©toa555 – stock.adobe.com

Gebrauchsgegenstände unterliegen einem ständigen Verschleiß, der entweder durch Umwelteinflüsse wie Licht, Wasser oder Hitze oder durch ihre Funktion bedingt wird. Bei Autoreifen tritt der Verschleiß während des Fahr- und Bremsvorgangs auf. Dabei werden Mikropartikel abgerieben und freigesetzt. Neben dem Abrieb des Reifenmaterials selbst bilden sich während der Fahrt auch Abriebpartikel auf der Straße. Außerdem enthält der Reifengummi eine Reihe von zugesetzten Stoffen, um bestimmte Eigenschaften zu erzielen, u.a. auch Nanomaterialien, wie z.B. Carbon Black. Daher gibt es hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Auswirkungen solcher Abriebpartikel und ihrer Bestandteile auf Mensch und Umwelt Bedenken.

 

Was versteht man unter Reifen- und Straßenabriebpartikel?

Autoreifen bestehen hauptsächlich aus Gummi. Dieser enthält eine breite Palette von Chemikalien, u.a. Nanomaterialien, die die Stabilität und Belastbarkeit von Reifen beeinflussen. Reifen und Straßenabriebpartikel sind kleine Ablagerungen, die unter normalen Fahrbedingungen durch die Reibung zwischen Reifen und Straße entstehen. Diese Reibung ist für eine ausreichende Haftung und somit für die Sicherheit notwendig (Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT).  Da Gummi eine polymere Substanz ist, werden Reifenabriebpartikel aufgrund ihrer Größe und Zusammensetzung als Mikroplastik eingestuft. Reifenabriebpartikel verbinden sich mit Straßenabrieb zu Reifen- und Straßenabriebpartikeln (englisch: Tire and Road Wear Particles, TRWP). Diese können auch Partikel von Bremsabrieb enthalten. Zu den Ausgangsstoffen, die bei der Formulierung von Reifenlaufflächengummi verwendet werden, gehören solche, die chemisch an die Gummimatrix gebunden sind (z.B. Carbon Black), und solche, die frei in der Gummimatrix vorliegen (z. B. Weichmacher und Alterungsschutzmittel). Die Fragmentierung und der Abbau von Kunststoffen lassen sich nicht einfach auf Reifengummipartikel übertragen. Reifengummi ist eine vulkanisierte Polymerstruktur, die entwickelt wurde, um rauen Bedingungen zu widerstehen und ein sicheres und dauerhaftes Fahren zu gewährleisten. UV-Stabilisatoren, Antioxidantien und zersetzungshemmende Verbindungen werden hinzugefügt, um die Abnutzung von Reifengummi zu verhindern. Über den Abbau von Reifengummi durch Umwelteinflüsse liegen nur wenige Informationen vor. Nur ein kleiner Teil des Reifenkautschuks besteht aus hergestellten oder natürlich vorkommenden Nanomaterialien (ENMs) wie Carbon Black, Siliziumdioxid oder Clays. Die genaue Zusammensetzung ist nur den Herstellern bekannt und wird aufgrund von Patentrechten geheim gehalten. Die enthaltenen Nanomaterialien unterliegen einem Alterungsprozess und verbinden sich mit den anderen Komponenten des Reifens. Durch Abnutzungseffekte beim Bremsen oder schnellen Fahren wird somit eine Mischung aus mikro- und nanoskaligen Reifenabriebpartikel freigesetzt.

 

Wie werden Reifenabriebpartikel gebildet?

Schema für die Verwendung und Freisetzung von Nanopartikeln im Lebenszyklus von Gummireifen. Bildquelle des Reifens: upklyak / Freepik

Schema für die Verwendung und Freisetzung von Nanopartikeln im Lebenszyklus von Gummireifen. Abbildung des Reifens © upklyak / Freepik

 

Reifen- und Straßenabriebpartikel entstehen durch stressige Fahrbedingungen. Dazu gehören zum Beispiel starkes Beschleunigen oder Bremsen. Die hohe mechanische Belastung führt zum Abrieb von Partikeln aus Reifen und Bremsen. Diese werden zunächst in die Luft freigesetzt oder bleiben an Oberflächen (z.B. Bremsstreifen auf Straßen) haften. Die Freisetzung von Reifenabriebpartikel wird als freigesetzte Masse pro Fahrzeug und gefahrenen Kilometern (mg/v*km) oder als freigesetzte Masse pro Jahr (g/Jahr) angegeben. Darüber hinaus werden zunehmend auf der Partikelzahl basierende Messgrößen verwendet. Es ist wichtig zu beachten, dass die Freisetzung von Reifen- und Straßenabriebpartikeln zwischen normalen und belastenden Fahrbedingungen, wie Kurvenfahrten, schnelle Beschleunigung und Vollbremsung, erheblich variiert. Dabei spielt die Geschwindigkeit eine wichtige Rolle. Unter normalen Fahrbedingungen zeigen die Messungen eine durchschnittliche Freisetzung von 64 mg/v*km (eng. mass released per vehicle per kilometer driven“ = Menge pro Fahrzeug pro gefahrener Kilometer). Bei einer leichten Bremsung bei 90 km/h kann mehr als die doppelte Menge an Reifen- und Straßenabriebpartikeln freigesetzt werden als bei einer starken Bremsung mit 50 km/h. In Bezug auf die Partikelzahl ergibt sich bei konstanter Geradeausfahrt eine geschätzte Freisetzungsobergrenze von etwa 1011 Partikeln pro Kilometer. Durchschnittlich liegt die geschätzte Freisetzung von Reifenabriebpartikeln bei 0,81 kg/Jahr/pro Person.

Schätzungen zufolge gehen während der Lebensdauer eines Reifens 10-30 % des Laufflächengummis verloren, was bis zu 30-50 % der gesamten emittierten Partikelmasse ausmacht. Allein in der EU beläuft sich dies auf etwa 1 120 000 Tonnen/Jahr an Mikropartikeln durch Reifenabrieb. Der Reifenverschleiß ist bei verschiedenen Reifenmarken dabei sehr unterschiedlich.
Was den Verbleib von Reifenabriebpartikel anbelangt, so landet ein erheblicher Teil, etwa 67 %, im Boden. Etwa 12 % verbleiben in der Luft, während 6 % direkt in Oberflächengewässer gelangen und weitere 12 % indirekt über das Abwassersystem in Oberflächengewässer gelangen. In der Luft befindliche Nanopartikel können über große Entfernungen transportiert werden und sich in abgelegenen Gebieten, wie den Hochalpen, Sandregionen und sogar in Polargebieten, ablagern. Tatsächlich wurden Ablagerungen von Reifen- und Straßenabriebpartikeln in grönländischem Festlandeis nachgewiesen.

Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt

Die Auswirkung durch Reifen- und Straßenabriebpartikeln für Mensch und Umwelt lässt sich derzeit nur grob abschätzen. Dies ist vor allem auf den Mangel an Expositions-Daten durch Reifen- und Straßenabriebpartikel einerseits und einem Fehlen von Gefahrendaten andererseits zurückzuführen. Darüber hinaus gibt es mehrere analytische Herausforderungen bei der Messung der Freisetzung sowie des Verbleibs von Reifen- und Straßenabriebpartikeln. Diese lassen sich auf die sehr heterogene Zusammensetzung der freigesetzten Partikel und der schwierigen Isolierung und Abtrennung von Reifen- und Straßenabriebpartikeln aus dem riesigen Hintergrund anderer in der Umwelt vorhandener Partikel zurückführen. Es gibt jedoch mehrere Hinweise darauf, dass freigesetzte Partikel aus Reifen eine Gefahr für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellen können [1,2].

1 Menschliche Gesundheit

Für die menschliche Gesundheit stellt das Einatmen von Reifen- und Straßenabriebpartikeln die größte Gefahr dar. In die Luft freigesetzte Abriebpartikel tragen zu Fein- und Ultrafeinstaub bei und können daher eingeatmet werden. Die höchsten Emissionen an Abriebpartikeln sind in Großstädten zu finden.
In der kautschukverarbeitenden Industrie besteht ebenfalls ein erhöhtes Gesundheitsrisiko, da die Arbeitnehmer Emissionen ausgesetzt sind, die als krebserregend eingestuft werden.

2 Umweltauswirkungen

Die Verwendung von Gummireifen trägt erheblich zum Vorkommen von Mikroplastik in der terrestrischen und aquatischen Umwelt sowie in der Luft bei. Tatsächlich macht der Reifenverschleiß ca. 25 % der gesamten Mikroplastikmasse in der terrestrischen Umwelt aus. Reifen- und Straßenabriebpartikel tragen zudem zur Mikroplastikbelastung der Meere bei, da sie über Flüsse in die Ozeane gelangen. Sowohl die Partikel als auch die damit verbundenen Chemikalien können für Wasserorganismen gefährlich sein. Die Auswaschung von Zusatzstoffen kann durch Regen und dem pH-Wert der Umgebung begünstigt werden und stellt daher eine zusätzliche Gefahr für aquatische Ökosysteme dar. Die beobachteten Auswirkungen auf Wasserorganismen reichen beispielsweise von Verhaltensänderungen über vermindertes Wachstum und Reproduktion bis hin zu einer erhöhten Sterblichkeit.
Nimmt man alle diese Aspekte zusammen, hat die Freisetzung von Reifen- und Straßenabriebpartikeln über die Luft auf Menschen, Ökosysteme und die Umwelt sowohl lokal (Ablagerung auf und in der Nähe von Straßen) als auch in weiter entfernten terrestrischen und aquatischen Gebieten nach dem Transport große Auswirkungen.

 

Herausforderungen

Die heterogenen Mischungen an Reifen- und Straßenabriebpartikeln aus unterschiedlichen Formen, Größen, Oberflächen und chemischen Zusammensetzungen mit meist unbestimmtem Gefahrenpotenzial verursachen Bedenken. Was die im Laufflächengummi enthaltenen hergestellten Nanomaterialien betrifft, so ist unklar, ob und wie sie freigesetzt werden. In jedem Fall erfolgt die Freisetzung nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern als eingebettete Komponenten in abgeschliffenen Mikro- und Nanogummipartikeln, die zudem chemische Umwandlungen erfahren haben.

 

Was kann getan werden, um Reifenverschleiß zu verringern?

Die Änderung des Fahrverhaltens ist eine wirksame Maßnahme, um die Freisetzung von Partikeln beim Fahren zu minimieren. Geringere Geschwindigkeiten und vorausschauendes Fahren führen zu einer geringeren Abnutzung der Autoreifen. Die Aktualisierung des europäischen Reifenlabels (2021) enthält nun zusätzliche Informationen zu Energieeffizienz (Rollwiderstand) und Nasshaftung, so dass der Verbraucher mehr Informationen hat, die ihm beim Kauf von Reifen helfen sollen. Darüber hinaus zielt die Forschung darauf ab, neue Materialien (darunter auch neue Nanomaterialien) als Zusatzstoffe zu untersuchen, die die Reifeneigenschaften verbessern und somit die Umweltauswirkungen verringern können. Das Verhältnis zwischen möglichen Gefahren und Vorteilen ist jedoch oft nicht einfach aufzuschlüsseln. So kann beispielsweise ein neu entwickelter Reifen mit mehr Bodenhaftung zu einem höheren Abrieb und einer stärkeren Reifen-Abnutzung führen, aber zur Verbesserung der Fahrsicherheit beitragen.

 

Literatur

  1. S. Wagner, P. Klöckner, T. Reemtsma, Aging of tire and road wear particles in terrestrial and freshwater environments – A review on processes, testing, analysis and impact, Chemosphere, Volume 288, Part 2, 2022, 132467
  2. K. Müller, D. Hübner, S. Huppertsberg, T. P. Knepper, D. Zahn: Probing the chemical complexity of tires: Identification of potential tire-borne water contaminants with high-resolution mass spectrometry, Science of the Total Environment, 2022, 802, 149799

Weiterführende Informationen

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