Die Grundlagen der Toxikologie werden immer wieder überdacht, das Vorgehen bei einer Risikobeurteilung daher ständig auf den Prüfstand gestellt, denn, so wird William Osler in dieser Publikation zitiert, “Medizin (Toxikologie) ist die Wissenschaft der Unsicherheit und die Kunst der Wahrscheinlichkeit“. In dieser aktuellen Arbeit hat das Team um Thomas Hartung (Johns-Hopkins University/Universität Konstanz) dargestellt, dass wir für eine verbesserte Toxikologie eher mit einem „Wahrscheinlichkeitsprinzip in der Risikoabschätzung (Probabilistic Risk Assessment)“ arbeiten sollten. Dies ist auch oder gerade für neue Materialien von besonderer Bedeutung, denn bei diesen gibt es besonders häufig Wissenslücken, Unsicherheiten bei der Risikoabschätzung durch konträre Datenlage und unterschiedlichste Hypothesen und damit auch Herangehensweisen der verschiedenen Stakeholder.
In der Publikation werden diverse Modelle aufgezeigt, die für diese Art der Risikoabschätzung anwendbar sind und für die es teilweise auch entsprechende Software gibt, um Berechnungen für die jeweilige Expositionssituation durchzuführen. In den Beispielen für diese Betrachtungsweise wird hier auch eine Arbeit von Jacobs et al. (1) zitiert, die den Fall auf Kieselsäure (Siliziumdioxid) in Nahrungsmitteln angewendet hatten. Sie kamen zum Schluss, dass nach Zugrundelegung aller Unsicherheiten und Einsatz aller vorhandenen Daten, der Sicherheitsrahmen durch den Einsatz von Kieselsäure in unterschiedlichen Produkten des Lebensmittelbedarfs bei weitem nicht ausgereizt wird. Im Jahr 2017 hat eine internationale Expertengruppe diese Methode auf Titandioxid in sieben verschiedenen Expositionsszenarien angewandt und ist auch dabei zu keinem erhöhten Risiko für den Menschen gekommen, da die Wahrscheinlichkeit, dass die Sicherheitsgrenzwerte überschritten werden, verschwindend gering ist (2).
Die aktuelle Arbeit der Johns-Hopkins University ist somit ein guter Hinweis darauf, diesen Ansatz für neue Materialien und Technologien zu wählen, um auch bei vorhandenen Unsicherheiten eine vernünftige Risikoabschätzung für neue, innovative Materialien machen zu können.
Weiterführende Literatur:
- Jacobs, R., van der Voet, H., and Ter Braak, C.J. (2015). Integrated probabilistic risk assessment for nanoparticles: the case of nanosilica in food. J Nanopart Res 17, 251
- Tsang, M.P., Hristozov, D., Zabeo, A., Koivisto, A.J., Jensen, A.C.O., Jensen, K.A., Pang, C., Marcomini, A., and Sonnemann, G. (2017). Probabilistic risk assessment of emerging materials: case study of titanium dioxide nanoparticles. Nanotoxicology 11, 558-568
Original Publikation:
Maertens, A., Golden, E., Luechtefeld, T.H., Hoffmann, S., Tsaioun, K., and Hartung, T. (2022). Probabilistic risk assessment – the keystone for the future of toxicology. ALTEX 39, 3-29
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