
Advanced Materials, aber auch vor allem Nanomaterialien, werden genau untersucht, ob sie biologische Effekte auslösen, die für Mensch und Umwelt schädlich sein können, bevor diese in Produkten eingesetzt werden. Auch solche Materialien, wie z.B. Titandioxid, das seit mehr als 50 Jahren in unterschiedlichsten Produkten Verwendung findet, gehört dazu. Eine sehr wichtige biologische Reaktion auf „Fremdstoffe“ ist bei Mensch und Tier die Entzündungsreaktion, da diese einen Abwehrmechanismus darstellt, in dem der Körper sich mit verschiedenen Reaktionen wehrt: Rötung, Erwärmung (Fieber), Schwellung und Schmerz sind erste Anzeichen und führen möglicherweise zu einer funktionellen Einschränkung des Organs, das betroffen ist. Daher wird diese Reaktion auch besonders häufig in toxikologischen Labors untersucht und nahezu ebenso häufig missinterpretiert.
Was sind aber die Gründe für die häufig falsch-positiven Ergebnisse z.B. bei Goldpartikeln oder den oben erwähnten Titandioxidpartikeln? Seit langem ist bekannt, dass ein bakterieller Zellbestandteil für solche Fehlbestimmungen verantwortlich ist. Denn das sogenannte „Endotoxin“ oder Lipopolysaccharid (LPS) kommt überall in unserer Umwelt vor, auch ohne Bakterien, und bindet sich ganz besonders gern an kleine Partikel, wie eben die Nanopartikel [1, 2]. Dieses Endotoxin löst dann die Abwehrreaktion aus, ohne dass das Material selbst etwas dazu beitragen müsste.
In ihrem aktuellen Übersichtsartikel macht die italienisch/spanische Gruppe darauf aufmerksam, dass vor einer Messung eines entzündungsauslösenden Effektes von Materialien unbedingt das Material darauf untersucht werden muss, ob es bakterielle Kontaminanten (Endotoxin) enthält [Mangini et al., 2021]. Und zusätzlich zeigen sie auf, dass auch die Auswahl des passenden Bestimmungsverfahrens wichtig ist, da die Nanopartikel mit den Testverfahren interagieren können und damit zusätzlich Fehler hervorrufen, die zu falsch-positiver oder auch falsch-negativer Bewertung der Ergebnisse führen können. Da jedoch aus regulatorischer Sicht keine Vorschrift existiert (außer für medizinische Anwendungen), die den Nachweis bzw. das Fehlen von Endotoxinen verlangt, wenn es um die toxikologische Bewertung von Advanced Materials geht, kann man davon ausgehen, dass viele dieser Materialien mit Endotoxin kontaminiert sind und daher die Aussagen zu ihrer Entzündungsauslösung falsch sein können. Die Autoren stellen daher einen Entscheidungsbaum vor, der vor jeder Testung von Nanomaterialien oder Advanced Materials angewendet werden sollte, um genau diese Fehler zu vermeiden. Zum einen muss die Frage beantwortet werden, ob Endotoxin in den Proben enthalten ist. Zum anderen muss aber auch berücksichtigt werden, ob der passende Test gewählt wurde, der für das jeweilige Material auch eingesetzt werden darf.
Auch das Projekt DaNa bewertet die Literatur zur Toxizität unter anderem nach diesem Kriterium und hat im Katalog der Evaluationspunkte den Nachweis von Endotoxin mit aufgenommen (siehe dazu https://nanopartikel.info/wissen/literaturkriterienkatalog/).
Original Publikation:
Mangini, M et al. (2021). Interaction of nanoparticles with endotoxin Importance in nanosafety testing and exploitation for endotoxin binding. Nanotoxicology, 15(4): 558-576.
Weitere zitierte Literatur
- Bianchi, MG et al. (2017). Lipopolysaccharide Adsorbed to the Bio-Corona of TiO2 Nanoparticles Powerfully Activates Selected Pro-inflammatory Transduction Pathways. Front Immunol, 8 866.
- Li, Y et al. (2017). Bacterial endotoxin (lipopolysaccharide) binds to the surface of gold nanoparticles, interferes with biocorona formation and induces human monocyte inflammatory activation. Nanotoxicology, 11(9-10): 1157-1175.

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