Immer wieder gibt es Schlagzeilen in Zeitungen oder dem Internet, dass Nanomaterialien wie Asbest wirken und einen seltenen Krebs (das sogenannte Mesotheliom) verursachen. Was ist dran an diesen Meldungen? Wie kommen diese zustande und müssen wir uns darüber wirklich den Kopf zerbrechen?
Die Asbest-Problematik

TEM Aufnahme von Kohlenstoff-Nanoröhrchen © HFK
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir zuerst wissen, wie Asbest eigentlich wirkt, denn dies ist schon sehr gut aufgeklärt worden [1]. Asbest ist der Sammelbegriff für eine Gruppe feinfaseriger Minerale, die aus Silizium, verschiedenen weiteren Metallen, Sauerstoff und Wasserstoff bestehen. Das herausstechende Merkmal ist die Feinfaserigkeit und die Tatsache, dass sich diese Fasern der Länge nach aufspalten können (Spliss) und damit immer dünner werden. Damit können die Fasern beim Bearbeiten von z.B. asbesthaltigen Dämmstoffen lang und sehr dünn sein und ohne geeigneten Atemschutz leicht eingeatmet werden. Ihre Wirkung entfalten die Fasern dann in der tiefen Lunge, woraus sie aufgrund ihrer Länge nicht mehr oder nur sehr, sehr langsam nach Monaten oder Jahren entfernt werden können (zu Reinigungsprozessen der Lunge siehe auch Nanopartikel und die Lunge). Für eine solche negative Wirkung auf die Zellen der Lunge müssen die Fasern die sogenannten „WHO-Faser Bedingungen“ erfüllen [2,3]: Das sind starre Fasern, die eine Länge von größer als 5 µm, einen Durchmesser geringer als 3 µm haben und ein Verhältnis von Länge zu Durchmesser von 3:1 überschreiten. Diese sind dünn genug, um mit dem Luftstrom in die tiefe Lunge zu gelangen und zu lang, um schnell aus der Lunge heraustransportiert zu werden. Solche Fasern sind besonders gefährlich, weil sie die Fresszellen der Lungenbläschen dazu bringen, ständig Entzündungsvorgänge auszulösen, was auf Dauer bis zu einer Tumorbildung führen kann. Dieser Vorgang findet im Falle der Asbestfasern meist im Zwischenraum zwischen Lungenepithel und Bauchfell statt. Dort werden die eher seltenen „Mesotheliome“, eine Krebsform, ausgelöst.
Aus diesem Grund ist die Nutzung von Asbest seit ca. 3 Jahrzehnten in Europa verboten und der Umgang mit den stattdessen verwendeten modernen Mineralfasern und Steinwolle ist gesetzlich in verschiedenen TRGS klar geregelt, damit eine solche Wirkung beim Gebrauch dieser Stoffe nicht auftreten kann.
Das Faser Paradigma
Aus dem, was oben beschrieben wurde, leitet sich das sogenannte „Faser Paradigma“ ab: Fasern können unter bestimmten Umständen krebserregend sein, wenn sie eingeatmet werden. Dabei kommt es auf die Eigenschaften der jeweiligen Faser an, die zum einen die oben angegebenen Abmessungen haben und des Weiteren sehr biobeständig sein muss. Das führt dann in der Lunge nach Einatmen zur sogenannten „frustrierten Phagozytose“, bei der es die Fresszellen als „Müllabfuhr des Körpers“ nicht schaffen, die langen und steifen Fasern aufzunehmen, um diese aus der Lunge zu transportieren. Dieser Vorgang, der bei bestimmten mineralischen Fasern, so auch beim Asbest, auftritt und nach langer Zeit zu Lungentumoren führen kann, kann auch bei „Nanofasern“ auftreten, die eben diese Bedingungen erfüllen (siehe Kohlenstoff-Nanoröhrchen) und wurde von Donaldson erstmals im Detail beschrieben [4].
Allerdings sind die Bedingungen eindeutig und klar vorgegeben: die Nanomaterialien müssen faserig, lang (mehr als 5 µm) und dünn und dabei sehr beständig, zudem starr sein. Daher sind Meldungen, die allgemein allen Nanomaterialien eine solche Wirkung zuschreiben, falsch, denn Staubpartikel, die rund und sehr klein sind (Nanopartikel), können eine solche Wirkung nicht auslösen, da sie nicht zur frustrierten Phagozytose führen, sondern von den Fresszellen aufgenommen und aus der Lunge geschafft werden können.

Paradigma der frustrierten Phagozytose für Asbest-Fasern und Kohlenstoff-Nanoröhrchen. © Verwendet & Angepasst mit Erlaubnis von Donaldson, K et al. (2010). Asbestos, carbon nanotubes and the pleural mesothelium: a review of the hypothesis regarding the role of long fibre retention in the parietal pleura, inflammation and mesothelioma. Part Fibre Toxicol, 7 5. Open Access article [CC-BY-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)].
Allerdings zeigt das Beispiel der Kohlenstoff-Nanoröhrchen, dass der Vergleich durchaus auch korrekt ist, wenn es sich eben um sehr stabile und steife Nanoröhrchen handelt, die auch die Bedingungen der WHO-Fasern erfüllen. Dies ist der Fall für ganz bestimmte Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die mittlerweile als Modellverbindung ein Standard für die Untersuchung von Lungenerkrankungen geworden sind [5,6].
Neben Kohlenstoff-Nanoröhrchen können andere Nanomaterialien ebenfalls in Stäbchen- oder Faserform hergestellt werden. Aber natürlich unterliegen auch diese generell der Faserregulierung. Die Hersteller müssen, wie für alle anderen Faserstoffe auch, die Möglichkeiten einer Exposition über das Einatmen und den Effekt der frustrierten Phagozytose berücksichtigen, bevor sie auf den Markt kommen dürfen.
Literatur
- Krug, HF et al. (2019).“Fasern und Nanopartikel“, in Toxikologie. Marquardt, Schäfer, and Barth, Eds., 4. ed Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, pp. 841-869. ISBN:978-3-8047-2876-9.
- WHO (1988).“Man-made mineral fibres and radon“ vol. 43. Lyon, France: IARC. ISBN:92 832 12436.
- WHO (1997).“Determination of airborne fibre number concentrations“. Geneva. ISBN:92 4 154496 1.
- Donaldson, K et al. (2010) Part.Fibre Toxicol., 7: 5.
- Moller, P & Jacobsen, NR (2017) Crit Rev Toxicol, 47(10): 867-884
- Sinis, SI et al. (2018) Front Physiol, 9: 295